KRAFT DES WILLENS

 

Von der Querschnittslähmung zum Halbmarathon

MIKE KLEIß, WeltN24©2015

 

Der "Wings for Life World Run" ist nun einige Tage her. Beinahe 75.000 Läuferinnen und Läufer erliefen 4,2 Millionen Euro unter dem Motto: "Wir laufen für die, die nicht laufen können". Und noch immer sehe ich den Startschuss in St. Pölten vor mir. Und noch immer bekomme ich eine dicke Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich durfte als Experte in der siebenstündigen Live-TV-Sendung mitwirken, an einer der wohl wunderbarsten Ideen des Laufsports. 

 

"Wir laufen für die, die nicht laufen können": Das ist das Motto des "Wings for Life World Run".

In der Expertenrunde ist Michael Kurz. Seine Geschichte bewegt und macht Hoffnung. Mike Kleiß

 

 

... Und dann begegne ich Michael Kurz. Er ist Gast in unserer Expertenrunde. Ein sehr hagerer Mann, Anfang 40. Michi Kurz strahlt vor der Kamera so etwas wie Ruhe und Frieden aus. Er hat seinen Frieden gefunden, sagt er mir später. Und es war für ihn ein langer Weg, seinen inneren Frieden zu finden. Der Osttiroler ist kein Mann der leichten Wege, geht körperlichen Anstrengungen nie aus dem Weg. Michael Kurz war Skitourenläufer, Radfahrer und Spitzensportler, als er bei einem Skitourenrennen in Pierra Menta in Frankreich im März 1999 bei einer der letzten Abfahrten in einer Schneewechte so abrupt auf Null gebremst wurde, dass er sich einen Kompressionsbruch der Halswirbel zuzog.

Nach der Erstversorgung in Albertville und der OP in Grenoble machen ihm die Ärzte Hoffnung, erst in Innsbruck die niederschmetternde Diagnose: Rollstuhl! Lähmung halsabwärts. Doch Michael Kurz gibt sich selbst nicht auf, glaubt an die Rückkehr in ein normales Leben und nimmt seine Reha selbst in die Hand. Und es geschieht ein kleines Wunder. Michi konzentriert sich noch im Krankenhaus auf seinen Mittelfinger, und tatsächlich...nach etwas Geduld und Willen bewegt sich der Mittelfinger ein kleines bisschen. Das ist für Kurz der Start in ein zweites Leben. Mehr und mehr kann er sich wieder bewegen.

Nur zwei Jahre nach seinem Sturz schafft Michi Kurz das schier Unfassbare. Um seine Psyche zu Stärken, und wirklich seinen inneren Frieden zu finden, will er die Abfahrt, die er durch seinen schweren Sturz natürlich nicht beenden konnte, zu Ende fahren. Und – er schafft es. Und es gelingt ihm noch viel mehr. Bei Paralympics-Veranstaltungen weltweit hagelt es Preise wie Schneeflocken. On top absolviert er 2009 als Radfahrer den Jakobsweg.

 

 

© MICHI KURZ
© MICHI KURZ

 

 

 

Im Moment des Sturzes dachte ich, ich müsse sterben

Ich treffe Michi am Abend an der Hotelbar. Er ist an diesem Tag beim Wings for Life World Run einen Halbmarathon gelaufen. In ca. 1 Stunde und 40 Minuten. Als er mir von seiner Zeit erzählt, habe ich Gänsehaut Nummer drei für diesen Tag. Und ich frage mich: Wie geht das alles? Wie schafft ein einst Querschnittsgelähmter diesen Wandel? Woher nimmt er die Kraft? Wie geht das alles? Was ist sein Motor? Ich stelle ihm all diese Fragen auf einmal.

Michi Kurz wird sehr leise. Ich muss sehr an nahe an ihn herantreten, und ich merke wie schwer es ihm fällt, darüber zu sprechen. Und wie froh er doch ist, es loswerden zu können: "Weißt Du Mike, ich hatte kurz vor dem Unfall gerade geheiratet, ich habe zwei Kinder. Im Moment des Sturzes dachte ich, ich müsse sterben. Mir war ganz klar, dass ich nun sterben müsste. Aber ich wurde zurückgeschickt. Irgendwas schickte ich zurück. Meine Zeit war noch nicht gekommen. Und sofort war da ein Wille. Und eine Angst. Ich wollte auf gar keinen Fall in einem Rollstuhl mein Restleben verbringen. Auf keinen Fall. Das wollte ich meiner Frau und den Kindern nicht antun."

Michi Kurz ist an diesem Tag als Behinderter, als Mann mit inkompletter Querschnittslähmung für alle gelaufen, die nicht laufen können. Er hat gezeigt, dass es möglich ist – so man den Willen dazu hat – das Unmögliche möglich zu machen. Schaut man Michi Kurz in die Augen, sieht man, was ihn in den letzten Jahren geprägt hat. Ein Mix aus Tränen, harter Arbeit, Hoffnung, Trauer, Freude und das Gefühl, als Sieger ins Ziel kommen. Er trägt seine Emotionen auf der Zunge. Auch wenn es ihm schwerfällt zuzugeben, dass er nie ohne Behinderung sein wird.

"Es gibt Dinge, die kann ich nicht einmal meiner Frau erklären. Zum Beispiel, warum ich die Abfahrt, die zum Sturz führte, unbedingt zu Ende fahren musste. Oder warum ich heute einen Halbmarathon gelaufen bin. Aber es muss wohl Dinge geben, die muss man einfach tun. Für sich selbst. Und für die, die nicht laufen können. Bei denen es gerade nicht läuft. Aus welchen Gründen auch immer. Und wenn ich auch nur einen heute durch meinen Lauf motivieren konnte, dann war es das Wert. Denn mein Leitmotto ist und bleibt: Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." So läuft es!

Mike Kleiß ©2015 WeltN24

 

 

 

 

 

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